Stipendium in Frankfurt/Oder, 21.8. - 20.9.2018
In der Galerie B des Frankfurter Kunstvereins stellte ich
mitgebrachte Arbeiten aus und arbeitete 4 Wochen zu Frankfurt.
Ein Zimmer zum Wohnen stand mir im gleichen Gebäude zur Verfügung.
Während der offenen Ateliers konnten mir die BesucherInnen beim
Arbeiten zuschauen, und es ergaben sich interessante Gespräche.
Am Schluss wurden die neu entstandenen Arbeiten in einer Finissage
präsentiert.
Ausstellung mitgebrachter Arbeiten:
im Atelier:
Abschluss-Ausstellung:
Aus der Einführungsrede zur Finissage
von Stefan Kunigam (Vorstand Frankfurter Kunstverein):
Alle die, die von Ava Smitmans in der Zeitung gelesen haben und nicht hier her gekommen sind, verpassen
wirklich einen weiteren Höhepunkt in der Reihe Regenerativverfahren der Galerie B des Jahres 2018.
Wenn man einen Menschen trifft, dann ist es oft der erste Eindruck, der uns stark beeinflussen kann.
Es hatte sich ergeben, dass ich die Laudatio für Ava schreiben und vortragen werde.
Ich habe mir zunächst die Einladungskarte der Galerie B genommen und den dazugehörigen Text (...) gelesen.
Und in meinem Kopf verschaffte sich mein persönliches „Sensibelchen“ Gehör, was zu Unruhe und zu einer
Gedankenplatzbesetzung mit Fragezeichen und Stirnrunzeln führte.
Der Grund war in erster Linie folgendes Zitat, O-Ton, bzw. O-Text von Ava:
„Ich gehe in einer Stadt oder in einem sonstigen vom Menschen geprägten Ort auf die Suche nach speziellen
Motiven.
Jenseits von bereits oftmals Dargestelltem und somit allseits Wahrgenommenem mache ich eine
Bestandsaufnahme der alltäglichen, vermutlich meist übersehenen, – und jetzt kommt es - auch ungern
gesehenen Ecken.
Wo sind da Fragezeichen, werden Sie denken.
Das Sensibelchen sprach zu mir:
„Da ist mal wieder eine Künstlerin, die Frankfurt an der Oder besucht, um in „ungern gesehene Ecken“ zu
schauen und daraus abzuleiten, wie schlimm das alles ist, im Osten.
Und um dann, wieder zu Hause zu erzählen, ich bin im „No-go Area“ oder Dunkeldeutschland gewesen, habe
auch mit den „Aborigines“ gesprochen, die mir genau das bestätigen.
Dann tief durchatmen, Pause machen, aber es ist gerade nochmal gut gegangen“.
(...)
Aber Ava hat mein Sensibelchen zum Schweigen gebracht, weil sie davon sprach, dass sie in Frankfurt / Oder, wie
in etlichen anderen Städten, Ost wie West, um mal das Schema beim Namen zu nennen, nach
nicht schillernden Baulichkeiten +
gelebtem Umfeld +
gegenwärtigen Unzulänglichkeiten +
verblichener Vergangenheit +
eigenen Emotionen oder besser Visionen
schon ein bisschen manisch sucht und selbiges auch findet.
Ich konnte meinen Gedankenplatz bereinigen, geradezu frei machen für den ersten Besuch im „offenen Atelier
der Galerie B“.
Es gab noch eine zweite Beräumung meines Gedankenplatzes, dann in der Galerie.
Ich konnte nun sehen und erkennen:
Die Aussagen auf den Bildern von „Gebäuden“ und „Ecken“ in Frankfurt waren auf den mitgebrachten Bildern aus
anderen Städten von der Aussage gleich und man – sicherlich nicht jedermann und schon gar nicht jede Frau -
fühlt sich verbunden, heimisch, in eine bekannte Umgebung versetzt, ein vertrautes, reales, nichtgeschöntes,
allerdings menschenleeres Milieu. Das ist mir aufgefallen, menschenleer.
??
Ava verzichtet auf ihren Bildern bewusst auf Menschen, die würden ablenken von der Aussage des Bildes.
Aber als Vision kann man sich schon „nicht geschönte Menschen“ in dieser Umgebung vorstellen, die auf den
Stühlen sitzen oder über einen holprigen Gehweg laufen.
Ava hat ihr Basisatelier hier unten am 22. August errichtet.
Das Basislager war Arbeitsraum, Sammelraum, Konzentrationsraum, Fotogalerie, Gesprächsraum, Computerraum
u.v.m.
(...)
Ansonsten gilt der Slogan: „Atelier Ava Smitmans ständig unterwegs“, zumindest vor Ort und um das Basisatelier
herum.
Und das nicht nur in Frankfurt, sondern bis nach Slubice.
Von dieser Auslandsreise innerhalb Europas hat sie auch Eindrücke eingesammelt, zusammengetragen und
letztlich auf dem Malgrund festgestellt.
Bedingt durch die große Entfernung nach Tübingen war Ava die ganze Zeit präsent, was eine intensive Begehung
der Stadt an allen Wochentagen, auch Sonnabend und Sonntag ermöglichte.
Ich habe den Eindruck, Ava war für diese vier Wochen zunehmend eine Frankfurt / Oderin ?
Und das ist auch den Regenerativen Bildern – Regenerativ heißt, „Neuentstehung“ - den neu entstandenen
Bildern anzusehen.
Hier ist niemand vorbeigehuscht, hat geknipst und ab ins Basisatelier.
Hier haben Gespräche vor Ort stattgefunden, es wurden Termine u.a.mit einem Bauleiter – Herrn Weber - in
einem Alt - DDR - Neubau Wohnblock, welcher just gerade „saniert“ wird, verabredet und wahrgenommen.
Hier wurden Originaltapetenproben von 1988 von der Wand abgenommen und als Collage eingearbeitet, um
genau das zu machen, was ich gerade zitiert hatte:
„...immer auf der Suche sein, nach vermutlich meist übersehenen, auch ungern gesehenen Ecken.
(...)
Exkursion mit Fotoapparat beendet, Bilder ausdrucken lassen und ab in’s Basisatelier.
Hier entsteht großformatig übertragen auf Hartfaserplatte oder auf Papier, das zum Teil abstrahierte Endergebnis
zahlreicher Fotografien, Skizzen und visionären Erinnerungen, mit diversen Malmedien, wie Acryl, Ölkreide,
Wachsstift, Tusche, Bleistift, Buntstift, Kohle, Feinliner, Lacken und gefundenen „Wertvollheiten“ als Collagen
eingearbeitet:
beeindruckende Milieubilder aus Frankfurt / Oder.
Gerade die unterschiedlichen Malmittel und Maltechniken bilden ein lebendiges städtisches Milieu ab.
(...)
Und nun ein kleiner Blick in die Ausstellungsräume der Galerie B.
Ava hat die zur Verfügung stehenden Räume überlegt gestaltet. (...)
Die farbigen, in diesen Tagen gemalten Bilder sind in diesem zentralen Galerieraum eingeordnet.
Mitgebrachte Bilder z.B. aus Baden Württemberg sind im kleinen Raum zu sehen.
Diese räumlich dicht beieinander gehängter Bilder, von einer nicht mehr vorhandenen Tür, getrennt, abgegrenzt –
eine Grenze zwischen „Ost und West“?
Aber verblüffend, die Übereinstimmung der Milieuansichten dieser (...) Städte, ruft die o.g. Wiedererkennung von
erstaunlich gleichen Entwicklungen in der Vergangenheit, der Gegenwart und auch visionär mit
Zukunftshoffnungen oder Zukunftssorgen von 750 km voneinander entfernten Standorten innerhalb Deutschlands
hervor.
Ganz anders sind die Bleistiftzeichnungen im Raum gegenüber, die nur in Frankfurt / Oder verortet sind.
Mit wenigen, leisen Farben oder bei Bilddetails mit kräftigen Farbflächen wird eine Metamorphose, eine
Umwandlung oder Verwandlung von Bausubstanz und Baukultur sichtbar.
(...)
Machen wir eine kleine Navigationstour durch den Raum:
An der Tür rechts; Gehwege, Straßen und Kabelverteiler in Neuberesinchen: das Verschwundene sind die DDR
Neubauten.
Weiter entlang der Wand bis zur Zimmerecke dann links:
„Alte - DDR – Neubauten“, die das Baujahr aufzeigen und dem aktuellen Leerstand zu zuordnen sind, allerdings
mit Perspektive zur Modernisierung und Sanierung,
weiter bis nächsten Zimmerecke dann links:
Bedrohte Bausubstanz, die große rote unheilbare Wunden aufweisen oder „schwarze Löcher“ die den Zerfall und
Zusammenbruch verdeutlichen.
Geradeaus links:
drei Bilder, die intakte Neubauten aus DDR Zeiten zeigen.
Übrigens sind auch hier keine Menschen zu sehen, aber geradezu mit dem dritten Auge zu sehen: Gehwege
zeugen von Müttern mit Kinderwagen auf dem Weg zur Krippe, Kinder die zur Schule gehen und Eltern die zur
Arbeit laufen oder zur Straßenbahn.
Hinter der Gardinen verhangenen Hochhausfensterfront stehen Bewohner und schauen auf die Straße.
Und da ist dann direkt gegenüber ein ungleiches Zwillingspaar zu sehen, „Nichts ist ewig, oder ich würde sagen:
alles hat seine Zeit.
Die Bilder sind ein gemalter, bittender Appell an den Betrachter, hinzuschauen, zu sehen was im Verborgenen
versteckt ist:
Quartier und Stadtgeschichte,
Milieuveränderung - manchmal in wenigen Tagen,
ein visuelles Bild, was werden wird oder werden könnte.
Die Kunst von Ava ist eine „städtische Hochbauarchäologie“ und die Kartierung und ist eine Möglichkeit
vergangene Baugeschichte für die Zukunft zu bewahren, wenn es auch nur ein Bild ist.